Vieles neu, vieles genau gleich: Projektreportage
Zurück in der SEMBRES-Familie
Niemand kennt die Stiftung SEMBRES mittlerweile länger und besser als Ing. Herman Moser. Als mich dieser am Flughafen in Quito abholt, ehrt mich dies und ich fühle mich sofort zurück in der Familie der SEMBRES. Einige Schweizer Flaggen und ein «CH»-Kleber zieren das Auto des Ingeniero. Als er am nächsten Morgen noch "Auperoooose" anstimmt, erobert er endgültig mein Herz. Nach dem Wiedersehen mit den mir bekannten Gesichtern widme ich mich den Projekten und deren Veränderungen.
Herzlicher Empfang durch Ing. Herman Moser
Recycling MIRS / Umweltlehrpfad
Im Recyclingprojekt lerne ich endlich die beiden Ingenieros Maritza und Sebastian kennen. Sie bringen frischen Wind in dieses Projekt, gehen aber sorgfältig mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen um. Unterstützt werden sie dabei tatkräftig durch die Angestellten oder den Zivildienstleistenden Thierry. In der Bodega liegt viel Material, das separiert und gebündelt verkauft wird (z.B. Karton). An einem Tag kann ich mich davon überzeugen, was dies für eine Heidenarbeit bedeutet. Das meiste Material kommt relativ unsortiert, unsauber und unordentlich daher. Hier würden wir gern den Hebel der Verhaltensänderung durch Umweltbildung ansetzen.
MIRS-Leiterin und -Leiter Maritza und Sebastian, Volontär Thierry (v.l.n.r.)
Mit Don Octavio (mittlerweile 62) ernte ich im Treibhaus die reifen Tomaten. Eine wahre Sauna und trotzdem tragen wir – wie in der gesamten Stiftung - diszipliniert die Masken...
Tomatenhäuser Uyachul / Mikrokredite
Das Projekt Mikrokredite überzeugt durch die zahlreichen Kleinprojekte, welche eine echte Hilfe-zur-Selbsthilfe darstellen. Die Rückzahlungen funktionieren in der Regel sehr gut, meint die Sozialarbeiterin Saskia.
Zum Beispiel kann ich die Tomatenhäuser von Uyachul besuchen, wo mir eine Frau stolz ihre Tomatenstauden und den umgebenden Garten zeigt. Eine Delegation der sieben involvierten Frauen verkauft samstags auf dem Markt das Gemüse; anschliessend teilen sie die Erträge gerecht auf.
Ein ebenfalls erfolgreiches Kleinprojekt ist die Eröffnung eines Tante-Emma-Ladens, welcher von den Menschen in diesem etwas abgelegenen Quartier gern benutzt wird. Auch hier überreicht mir die stolze Familie als Zeichen des Dankes etwas zu essen. Ihr ältester Sohn erweitert gerade das Angebot mit technischen Artikeln, da er eine Ausbildung in Informatik absolviert.
Die Belegschaft des Tante-Emma-Ladens (und Roger Noti)
Als drittes Beispiel zeigt mir eine Frau ihre Schweinezucht. Sie lernt ständig Neues bezüglich Tierhaltung hinzu, freut sich auf die baldige Geburt durch die trächtige Muttersau und möchte demnächst ihren Stallbereich erweitern.
Kindergärten Nuevo Miguelito und Violanta y Werner
Nach der corona-bedingten Schliessung der Kindergärten tut es gut, dass die 3- und 4-Jährigen wieder vor Ort herumtollen, basteln, essen und sich treffen dürfen.
So werde ich in Tänze eingeführt und es werden mir alle Spielecken, Spielwaren und Ähnliches vorgeführt. Natürlich darf der Jugito ("Säftli", frischer Fruchtsaft, der in Ecuador üblicherweise zum Frühstück oder Znüni getrunken wird) nicht fehlen. Meine Freude ist gross, dass Rosa auch nach 16 Jahren noch dort arbeitet. Aufgrund der geringeren Kinderanzahl, je ungefähr 43 Kinder, arbeiten momentan weniger Kindererzieherinnen als früher.
Ein ganz normaler Kindergarten-Tag in Pomasqui...
An einem Freitag erscheinen alle Kinder in Kostümen und es entsteht ein buntes Fest an Superhelden, Prinzessinnen sowie Tiergestalten. Besonders berührt bin ich durch die Geschichte von Andres (s. Foto unten), ein Junge mit Trisomie 21. Er scheint gut integriert zu sein; die Stiftung SEMBRES unterstützt ihn mit besonderen Massnahmen.
Andres, verkleidet als Superheld
Die ecuadorianischen Kindergärten werden neu dazu verpflichtet, eine Psychologin anzustellen. Diese soll sich regelmässig schwierigen Fällen annehmen, wie Kinder, welche Gewalt zu Hause erleben oder negativ im Alltag auffallen.
Die Direktorinnen hoffen darauf, dass mit der zunehmenden Impfquote wieder viele Eltern arbeitstätig werden und unsere Kindertagesstätten mehr in Anspruch genommen wird. Diese haben nach wie vor Vorbildcharakter in Ecuador, wenn es um kindergerechte Erziehung, Spiel, Gesundheit und Betreuung geht.
Patenschaften
Bei vier Patenfamilien-Besuchen werde ich wieder Zeuge davon, dass das Geld am richtigen Ort ankommt. Ich stelle auch einen Unterschied zwischen langjährigen und neuen Patenschaften fest. Die Familien mit kleinen Kindern, mit wenig und (teilweise) feuchtem Raum sowie betroffen durch Krankheiten oder Arbeitslosigkeit bewegen mich am meisten. Es ist aber auch schön, wie ein kleiner Junge mit lediglich einer Kreide ein Spiel auf dem Boden erstellt und glücklich darüber ist, dass er vor Kurzem einen Hund bekommen hat.
Grosse Freude am kleinen Hund
Ebenfalls darf ich eine Familie besuchen, welche am Ende der Patenschaft steht. Eine Tochter hat kürzlich erfolgreich ihr Literaturstudium an der Universität abgeschlossen, was natürlich ein Einzelfall ist. Ebenfalls wahre Erfolgsgeschichten stellen die ehemaligen Patenkinder Belen und Silvana dar, welche heute als Kindererzieherin oder Sozialarbeiterin in unserer Stiftung arbeiten.
Bei jedem Besuch und Treffen spürt man die tiefe Dankbarkeit gegenüber den Patinnen und Paten aus der Schweiz. Die nachhaltige Unterstützung ermöglicht vielen ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis der Armut.
Casitagua
Ing. Moser und Ing. Sebastian begleiten mich höchstpersönlich auf den Casitagua. Unsere Fahrt in Mosers Pick-up-Jeep gleicht einem Actionstreifen auf meinen Busfahrten: Die nicht mehr unterhaltene Strasse, durch die Regenfälle zerfurcht, mit unzähligen Schlaglöchern versehen, ein tiefhängender Ast knapp über dem Autodach und das Höllentempo des Ing. Moser dem Gipfel entgegen, führen dazu, dass ich sehr gerne aussteige. Die Aussicht ist ebenfalls atemberaubend: Die Vulkane Cayambe und Cotopaxi oder die Städte Quito und Pomasqui breiten sich vor dem Auge aus.
Auf dem Casitagua
Ernster wird es, als die Sprache auf den grossen Brand von 2020 kommt. Die Spuren sind klar sichtbar. Ing. Moser schätzt den beschädigten Teil über 50% ein. Nichtsdestotrotz besteht die Hoffnung auf eine langsame Erholung, zumal einzelne angekokelte Bäume wieder ein paar spriessende Ästchen aufweisen oder auch durch die Samen der unbeschädigten Bäume.
Emotional schildert mir Ing. Moser einige Anekdoten aus der Zeit der Projektlancierung und -durchführung. Als Angestellter von Holcim wurde er erstmals von einem gewissen Toni Stebler kontaktiert. Der Anfang einer langjährigen Zusammenarbeit und Freundschaft.
Die Durchführung sei schwierig gewesen, zum Beispiel der Transport (einmal rammten sich Pflöcke durch Mosers hinteres Autofenster), die Zusammenarbeit mit der pflanzenden Schülerschaft der regionalen Colegios oder die hitzigen Diskussionen mit den Behörden. Einer dieser Schüler, heute ein berühmter Fussballer des Clubs in Quito, habe ihn kürzlich erkannt und auf diese Casitagua-Zeit angesprochen...
Anderes
Auch bei diesem Besuch der Stiftung SEMBRES darf Mehreres nicht fehlen: Das gemütliche Zusammensein, das herzhafte Lachen über alte und neue Geschichten (z.B. eine eingeklemmte 50-Dollar-Note, welche ich nur dank Martas Hilfe befreien konnte) sowie die zahlreichen, leidenschaftlichen Reden. Das Foto unten zeigt uns bei einem solchen Anlass – keine Angst, unsere Buchhalterin ist nicht erst acht Jahre alt geworden. Aber manchmal muss man sich in Ecuador flexibel zeigen.
Nicht mehr ganz so jung: Marta.