In Ecuador während der Corona-Krise

Roland Züger
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Bei unserer Ankunft wurden wir von Christina und Telsa begrüsst, den zwei deutschen Volontärinnen, die schon seit August des vergangenen Jahres vor Ort in den beiden Sembres-Kindergärten arbeiteten und hier ihr FSJ (Freiwilliges soziales Jahr) absolvierten. Mitte Februar stiess Thierry aus der Schweiz dazu, um seinen fünfmonatigen Zivildienst zu leisten. Er sollte, wie wir, die Recycling- und Umweltprojekte unterstützen.

Die Krise beginnt

Am 29. Februar wurde der erste offizielle Corona-Fall in Ecuador gemeldet und dann ging alles Schlag auf Schlag. Christina und Telsa wurde von der deutschen Organisation, die ihren Freiwilligendienst koordiniert, ein Arbeitsverbot auferlegt. Sie hätten aber auch sowieso nicht weiterarbeiten können, da wenige Tage später die Kindergärten geschlossen werden mussten. Kurz darauf wurden die beiden aufgefordert, sofort nach Deutschland zurückzukehren. Thierry war erst drei Wochen in Ecuador, als auch er vom Bundesamt für Zivildienst in die Schweiz zurückbeordert wurde. Keiner von den dreien wollte Ecuador verlassen, aber sie hatten keine Wahl. Für Christina und Telsa war es vor allem schwer, weil sie sich nicht von den Kindern und den Erzieherinnen in den Kindergärten verabschieden konnten, mit denen sie praktisch jeden Tag des vergangenen halben Jahres verbracht hatten.

Es war für sie auch gar nicht so einfach, Flüge nach Europa zu finden. Die meisten Flüge wurden bereits gestrichen oder waren schon ausgebucht. So sassen sie alle drei noch einige Tage auf gepackten Koffern, bis sie schliesslich einen Flug buchen konnten.

Letzter Abend

Letzter Abend zu fünft. Gute Laune trotzdem nicht verderben lassen. (v.l.n.r.: Telsa, Christina, Thierry, Roli, Anika)

Strenges Ausgangsregime

Mittlerweile galt in ganz Ecuador eine Ausgangssperre. Diese wurde am 17. März, etwa zwei Wochen nach dem ersten bestätigten Fall, verhängt. Zu jenem Zeitpunkt gab es in Ecuador 111 bestätigte Fälle. Ab dieser Sperre durften wir nur noch zum Einkaufen von Lebensmitteln oder Medikamenten aus dem Haus und zwischen 21.00 und 05.00 Uhr war jegliches Verlassen des Hauses verboten. Eine Woche später, am 24. März, wurde die Sperre weiter verschärft. Ab sofort durfte man nur noch an bestimmten Wochentagen auf die Strasse, abhängig von der letzten Ziffer seiner persönlichen Ausweisnummer. Am Montag durften die 1er und 2er, am Dienstag die 3er und 4er, Mittwoch 5er und 6er, Donnerstag 7er und 8er und am Freitag die 9er und 0er raus. Ausserdem am Samstag alle geraden Ziffern und am Sonntag die ungeraden. Gleiches galt für die Nummernschilder der Autos. Zudem wurde die absolute Ausgehsperre von 21.00 bis 05.00 Uhr auf 14.00 bis 05.00 Uhr ausgedehnt. Wer sich widersetzt, dem drohen harte Strafen. Beim ersten Vergehen: Busse von 100 Dollar, beim zweiten Vergehen: Busse in Höhe von etwa 400 Dollar, beim dritten Vergehen: Gefängnis. Und wird man nach 14.00 Uhr mit dem Auto auf der Strasse erwischt, wird dieses beschlagnahmt.

Für die Mitarbeiter der Fundación Sembres galt ab Beginn der Ausgangssperre, dass sie nicht mehr zur Arbeit kommen konnten. Einige arbeiten seither im Homeoffice - das ist aber nicht für alle möglich. Wiederverwertbare Materialien im Homeoffice einzusammeln oder zu sortieren, ist beispielsweise schwierig. Auch die Erzieherinnen, die in den Kindergärten arbeiten, können ihre Arbeit nicht im Homeoffice fortführen.

Wir beide haben es nicht so schlecht getroffen, da wir direkt auf dem Grundstück der Fundación Sembres wohnen und arbeiten. Wir haben seit unserer Ankunft hier hauptsächlich im riesigen Garten gearbeitet. Wir haben Gemüse gesät, umgepflanzt oder Gewächshäuser und Bewässerungsschläuche repariert. Solche Arbeiten können wir weiterhin ausführen. Auch wir haben kurz überlegt, ob wir in die Schweiz zurückkehren sollen, haben uns aber dagegen entschieden. Es gibt Schlimmeres als eine Ausgangssperre, wenn man auf so einem Grundstück wohnen darf wie wir. Im Garten wird es nie langweilig, es gibt unzählige Kolibris, die uns um die Köpfe schwirren, und Dutzende Strassenhunde, die uns hin und wieder besuchen. Einer von ihnen weicht uns seit über einem Monat nicht mehr von der Seite und wir haben uns mittlerweile damit abgefunden, dass er uns wohl nach Europa begleiten wird, wenn wir Pomasqui in ein paar Monaten verlassen werden.

Anika und Roli

Anika, Roli und ihr neuer vierbeiniger Freund vor ihrem Zuhause auf dem Grundstück der Fundación Sembres

Das Grundstück ist gross genug, um sich die Beine zu vertreten. Roli läuft mehrmals die Woche einige Kilometer im Garten. Eine Runde auf dem Gelände misst etwa 300 Meter und umfasst stolze 200 Treppenstufen - das Training kommt da nicht zu kurz.

Das Einzige, das uns im Moment etwas Bauchschmerzen bereitet, ist, dass wir uns derzeit faktisch illegal in Ecuador aufhalten. Aufgrund des Lockdowns wurde auch in den Migrationsämtern die Arbeit niedergelegt und wir konnten unser Visum nicht rechtzeitig verlängern. Wir hoffen, dass sich dies ohne negative Konsequenzen regeln lässt, wenn wieder Normalität eingekehrt ist.

Willkommene Hilfe

Unsere Sorgen wirken aber absolut unbedeutend, wenn wir sehen, wie es der Bevölkerung Pomasquis in dieser Krise ergeht. Wir müssen uns keine Sorgen machen, wie wir unsere Miete die nächsten Monate bezahlen und unseren Hunger stillen. Viele der Familien, die in Pomasqui wohnen, können das nicht von sich behaupten. Viele der Familien, die finanziell durch eine Patenschaft von Pro Pomasqui unterstützt werden, leben in einfachen Gemäuern mit Wellblechdach - manchmal zu sechst in einem einzigen Raum. Sie hielten sich vor der Corona-Krise mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wuschen beispielsweise die Wäsche ihrer Nachbarn. Auch vor der Krise war es für einige dieser Familien schwierig, genügend Essen auf den Tisch zu stellen. Jetzt, während der Krise, verfügen viele über gar kein Einkommen mehr.

Pro Pomasqui und Sembres haben deshalb begonnen, Lebensmittelspenden an besonders arme Familien zu verteilen. Rund 165 Familien sollen Spenden von Reis, Linsen, Mehl und anderen Grundnahrungsmitteln bekommen. Wir dürfen dieses Projekt unterstützen und waren die letzten Tage weniger mit Gartenarbeit und mehr mit der Beschaffung und Verteilung dieser Lebensmittel beschäftigt. Die strenge Ausgehsperre stellt uns vor gewisse logistische Herausforderungen, da unsere Fahrzeuge abhängig von der letzten Ziffer der Nummernschilder nur an bestimmten Wochentagen auf die Strasse dürfen und wir jeweils spätestens um 14.00 Uhr wieder zu Hause sein müssen. Es ist die Mühe aber allemal wert und die Unterstützung von Pro Pomasqui und Sembres wird auch dringend benötigt - das sehen wir tagtäglich mit unseren eigenen Augen.

Lebensmittelspende

Lebensmittelspende an eine der Familien

Die Ausgangssperre dauert nun schon über einen Monat und trotzdem verzeichnet Ecuador immer noch zunehmende Fälle von Corona-Erkrankungen. Vor allem die Stadt Guayaquil, etwa 400 Kilometer südlich von Pomasqui, hat mehr Kranke und Tote zu beklagen, als es das Gesundheitssystem und Bestattungsinstitute verkraften. In Pomasqui ist die Situation nicht so dramatisch, was die Krankheit an sich betrifft, aber unter den wirtschaftlichen Konsequenzen hat die Bevölkerung von ganz Ecuador zu leiden.

Während in Europa in vielen Ländern die getroffenen Massnahmen voraussichtlich bald gelockert werden können, ist hier noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Vielen Dank an alle Unterstützer in der Schweiz, die Pomasqui und Ecuador in dieser schwierigen Zeit beistehen.